Eine (nahezu) unbekannte Story aus Frankfurt
Die Medikamente unter den Handelsnamen "Axura", oder "Ebixa", des Frankfurter Pharmaunternehmens Merz gelten seit Jahren als Bestseller unter den Alzheimer-Medikamenten. Eine therapeutisch erhebliche Wirksamkeit des Wirkstoffes Memantin gilt allerdings bis heute als nicht ausreichend belegt. Das im September 2011 erschiene provokante und lesenswerte Buch der Hamburger Wissenschafts- journalistin und Diplom-Biologin Cornelia Stolze, nennt die dahinter stehende Story "ein Meisterstück in Sachen Arzneimittel-Marketing".
Der unten zitierte Text wurde - mit freundlicher Erlaubnis der Autorin und des Verlages - den Seiten 112 bis 114 des nachfolgend genannten Buches entnommen:
„Vergiss Alzheimer! Die Wahrheit über eine Krankheit, die keine ist“ von Cornelia Stolze
© 2011 by Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln. Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 978-3-462-04339-6, September 2011,
256 Seiten, gebunden
Euro (D) 18,99
In den 1960er-Jahren hatte der US-Konzern Eli Lilly den Stoff erstmals synthetisiert und patentiert – als Mittel gegen Diabetes. Doch als das Medikament an Zuckerkranken getestet wurde, blieb die erwünschte Wirkung aus. Lange Zeit schlummerte der Wirkstoff daraufhin ungenutzt in den Wirkstoffdatenbanken von Eli Lilly. Das änderte sich erst, als Merz-Forscher etliche Jahre später in der Datenbank von Eli Lilly auf den Stoff stießen. Das deutsche Unternehmen war damals auf der Suche nach einer wirksamen Substanz zur Parkinson-Behandlung. Tatsächlich gelang es Merz, aus Memantin ein marktfähiges Produkt zu machen: In den 1980er-Jahren führte der Arzneimittelhersteller den Wirkstoff unter dem Namen Akatinol Memantine in Deutschland ein. Zugelassen war es durch die deutsche Arzneimittelbehörde gegen leichte bis mittelschwere Hirnleistungsstörungen; eingesetzt wurde es in der Demenztherapie bei unterschiedlichen Krankheitsbildern, bei Parkinson-Patienten, spastischen Leiden und dem sogenannten hirnorganischen Psychosyndrom.
Doch auch für Merz war Memantin zunächst eine Enttäuschung, wie der Chef der Merz-Gruppe Jochen Hückmann dem Magazin Brand eins 2009 in einem Interview verriet. Der Wirkstoff, so der Vorsitzende des Merz-Gesellschafterrats, habe bei Parkinson nicht besser gewirkt als das ebenfalls von Merz hergestellte Parkinson-Mittel Amantadinsulfat. Vielleicht aber, dachten die Frankfurter, war der Wirkstoff, der im Gehirn ja irgendetwas bewirkt, für etwas anderes gut.
Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Göttingen testeten die Merz-Forscher das Mittel bei ähnlichen Krankheiten. Und siehe da: Bei Patienten mit Alzheimer-Demenz schien Akatinol anzuschlagen. Bald bestand das Medikament auch alle von den Behörden geforderten klinischen Prüfungen. Im Mai 2002 wurde es daher offiziell zur Behandlung von Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Krankheit zugelassen. Was darauf folgte, war ein bemerkenswerter Marketing-Coup. Nur wenige Monate später, im August 2002, verschwand das Parkinson-Medikament Akatinol Memantine vom Markt – um kurz darauf unter den Namen Axura und Ebixa mit neuem Beipackzettel und in neuer Verpackung wieder in den Apotheken aufzutauchen. Der Hersteller Merz nutzte die Gelegenheit für eine drastische Preiserhöhung. Als Akatinol kostete das Mittel noch 135,75 Euro. Unter dem Namen Axura oder Ebixa war es jedoch auf einmal nur noch für 236,45 Euro zu haben. Das entspricht einem Zuschlag von 75 Prozent. Die höheren Kosten versuchte das Pharmaunternehmen den Ärzten mit einer aufwendigen Werbeaktion schmackhaft zu machen. Einen Monat vor der Umstellung ließ Merz zahlreichen Medizinern rote Rosen per Zustellservice zukommen, aus dem »erfreulichen Anlass« der Umwidmung des Altprodukts. Doch nicht jeder der Adressaten konnte sich darüber wirklich freuen.
Falls Sie mehr über - leider nicht immer ehrenwerte - wirtschaftliche und wissenschaftliche Interessen rund um das Thema Demenz und Alzheimer wissen möchten - durchaus auch mit weiterem Frankfurt-Bezug - so bietet sich (neben der kritischen Leküre des Buches) auch der Besuch der Website der Autorin an: www.corneliastolze.de
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